05 Ruhe in der Dimension der Basis von allem, der wahren Natur
Auszug aus: Borghardt, Tilmann (Lama Sönam Lhündrup): Geistestraining [Lodjong] in Freiburg (Abschriften)
Das ist die Anweisung für das eigentliche Verweilen in Meditation. Indem du dich von allem Kommen und Gehen der sieben Bewusstseinsgruppen freimachst, verweile natürlich entspannt, ohne mit dem Intellekt daran zu haften, dass all dies keinerlei Existenz besitzt. Verweile in der Dimension der Natur aller Phänomene, der Basis von allem, dem natürlichen Zustand des Heilsamen, genannt „Essenz der zur Freude Gegangenen“ oder „Buddhanatur“, in der Klarheit frei von Projektionen, die durch Nichtdenken gekennzeichnet ist.
Also wenn ich mich jetzt in eure Situation versetze, gibt’s da eine Menge zu erklären. „Ruhe in der wahren Natur, der Basis von allem“. Diese „Basis von allem“ wird auch das Alaya Bewusstsein genannt. Es ist die achte oder tiefste Form des Bewusstseins. Wie mache ich denn das? Wie kann ich denn darin verweilen? Die Instruktion ist, dass ich mich von den sieben anderen Bewusstseinsgruppen frei mache.
Für den Meditierenden sieht das so aus: Wir setzen uns hin, Körper ruhig, Schweigen, und lassen den Geist sich entspannen. Dann bemerken wir, da sind Sinneseindrücke, visuelle, auditive, Geschmack weniger meistens, aber den Körper spüren wir… Insgesamt sprechen wir von fünf Körpersinnen. Der sechste Sinn ist das Wahrnehmen der geistigen Eindrücke. Das sind die sechs ersten Formen des Bewusstseins. All diesen Geisteseindrücken von den fünf Sinnen und auch dem Wahrnehmen von Gedanken messe ich keine Bedeutung bei. Ich entspanne mich und lasse das Bewusstsein tiefer gehen, ohne irgendwelche Bedeutung den äußeren Eindrücken oder dem Auftauchen von Gedanken beizumessen.
Ich sitze, meine Augen nehmen etwas wahr. Jetzt geht es darum, überhaupt nicht mehr sich darum zu kümmern, was die Augen wahrnehmen. Wir ziehen quasi das Bewusstsein aus dem visuellen Sinn zurück, wir geben dem keine weitere Bedeutung. Wir hören Dinge, geben dem keine weitere Bedeutung, wir ziehen quasi das Bewusstsein ab. Es geht nicht mehr darum. Es ist nicht mehr wichtig. Wir brauchen nicht darauf achtsam zu sein. Wir sind in einer Situation, wo wir uns das erlauben können, tiefer in uns zu ruhen und nicht ständig in Alarmbereitschaft zu sein.
Es tauchen Gedanken auf, Erinnerungen, irgendwas, was ich zu tun habe, wenn ich wieder aufstehe aus der Meditation, all das – wir lassen es los. Jetzt ist ein Freiraum. Es geht nicht mehr darum, sich um irgendetwas zu kümmern. Das ist das Loslassen des sechsten Sinnes, von all dem, was an normalen Gedanken auftaucht.
Diese sechs können wir das Sinnesbewusstsein nennen. Die Inhalte sind etwas unterschiedlich, aber es ist eine Art von nach außen orientiertem Bewusstsein. Die siebte Stufe, also eigentlich die zweite, wenn man die erste mal als die gesamte Gruppe betrachtet, ist, was wir das emotionale Bewusstsein nennen, den emotionalen Geist.
Auf dieser emotionalen Ebene – wenn wir darin funktionieren – das ist der Geist, der miteinander in Beziehung setzt und mit Emotionen reagiert auf das, was wahrgenommen wird, und dem einen Sinn gibt, interpretiert, einfach so das Muster strickt, mit dem wir uns für gewöhnlich als Ich identifizieren. Dieses Strickmuster unserer Interpretationen findet auf dieser Ebene des Geistes statt. Und auch das entspannen wir und lassen los, auch dem geben wir keine Bedeutung mehr. Wir gehen noch tiefer mit unserer Entspannung.
Das heißt, all den emotionalen Inhalten, auch den Stimmungen, was da so mitschwingt, all dem messen wir keine Bedeutung bei und entspannen uns in die achte Bewusstseinsschicht – also eigentlich die dritte, die nichtbegrifflich ist. Es kommt nicht mehr zum Formulieren von Sätzen und ausformulierten Gedanken, das ist ein vorgedankliches Bewusstsein.
Das ist das Alaya Bewusstsein, die Basis von allem, der Urgrund. Dieser Urgrund kann erfahren werden auf dualistische Weise und auf nonduale Weise. Er hat zwei Aspekte. Je nachdem wie tief die Entspannung da hinein einem möglich ist, ist noch eine feine Wahrnehmung von Getrenntsein vorhanden, oder diese Wahrnehmung löst sich auf und dieses Alaya Bewusstsein wird zu dem, was wir Yeshe, das ursprüngliche oder zeitlose Gewahrsein nennen. Das ist nur eine Frage, wie weit wir da die beobachtende Instanz noch loslassen können.
Dieses nonduale Gewahrsein nennen wir auch Buddhanatur. Wir nennen es auch die Essenz der zur Freude Gegangenen. Das sind einfach synonyme Ausdrücke für diese tiefste Gewahrseinsebene. Eine kleine Begriffsklärung. Tathagata, die Essenz des Sogegangenen, bedeutet, dieser ist so gegangen wie alle anderen Buddhas. Die zur Freude Gegangenen sind in die höchste, die letzte Freude aller Buddhas gegangen. Das sind die zwei Ausdrücke, mit denen man Buddhas beschreibt.
Sich dahinein entspannend hört die Wahrnehmung von einem Ich auf, da ist kein Gefühl von einem Ich mehr. Dieses Gewahrsein ist aber nicht irgendwie tot, sondern es ist dynamisch. Da ist Bewegung in diesem Gewahrsein. Dieses Gewahrsein bedarf aber keiner Etiketten, keiner Begriffsbildungen, um zu funktionieren. Deswegen heißt es hier im letzten Satz: „Klarheit frei von Projektionen durch Nichtdenken gekennzeichnet“. Nichtdenken ist nicht, dass es keine Bewegung gibt, sondern dass es keine Denkprozesse im üblichen Sinn des Wortes gibt. Es ist viel schneller als das übliche Denken.
Trungpa drückt es so aus: Wir kümmern uns weder um den Film noch um den Filmprojektor, das heißt die Mechanismen, die den Film hervorrufen. Wir entspannen uns jenseits von Film und Filmprojektor und weilen in dem allem zugrunde liegenden nichtbegrifflichen Bewusstsein, was auch das leuchtende selbstgewahre Bewusstsein genannt wird.
Diese völlig natürliche ungekünstelte Geistesdimension nennt man auch den ‚gewöhnlichen Geist’. Der gewöhnliche Geist: nondual, aus sich heraus gewahr, oder Mahamudra.
Frage der Übersetzerin: ordinaire?
Ja, l’esprit ordinaire!
Was damit gemeint ist, ist, dass die Buddhas die gewöhnlichsten Menschen sind, die allernatürlichsten.
Wenn wir nach etwas Besonderem suchen, sind wir auf dem falschen Weg.
Diese Dimension wird auch das Allgute genannt, ein anderer Name für Buddha, die allgute Dimension, weil daraus heraus alle Qualitäten der Buddhaschaft entstehen.
Jetzt müssen wir noch einen weiteren Fehler vermeiden: nicht zu glauben, dass diese Buddhanatur wirklich existiert.
Auch sie ist nicht zu fassen, wie der ganze Rest.
Der Versuch, den Geist zu fassen, wäre etwa so, wie wenn ich euch sagen wollte: „Bringt mir doch etwas, das beweisen sollte, dass die Dreisam (Fluss) wirklich existiert.“
Nehmt euch Wasser – dieses Wasser ist nicht mehr die Dreisam! Was die Dreisam ausmacht, ist, dass da ständig etwas runter fließt, da ist ständige Bewegung, die Dreisam ist nicht für einen Moment dieselbe Dreisam. Die Dreisam als etwas Konkretes, immer so Seiendes gibt es nicht. Sie ist ein Prozess.
In diese Dynamik hineinzufassen und etwas zu isolieren – ist nicht mehr der Prozess. Das ist, was gemeint ist, wenn wir über den Geist sprechen und über die Erscheinungen. Das ist dynamisch, da ist ein Prozess, da lässt sich nichts, nichts finden, was immer so ist und definierbar wäre, eine bleibende Seele, ein Wesenskern von etwas.
Das beste Beispiel, was mit unserem Geist vergleichbar wäre, wäre: „wie ein Strom“. Deswegen sprechen wir von Geistesstrom. Die Tibeter benutzen den Ausdruck gyü, auf Sanskrit ist das Tantra. Kontinuität von etwas sich ständig Wandelndem.
Kurz gesagt: Lasse den Geist selbst, so stabil wie Du kannst, in vorstellungsfreier Klarheit verweilen, ohne Gedanken zu folgen. Das ist das Zur-Ruhe-Kommen in gelöster Meditation. Beschließe die Sitzung dann mit dem siebenteiligen Gebet.
Solange wir noch bei den Vorbereitungen sind, werden wir die Vorbereitung praktizieren, diese Meditation ausführen und da schon die Sitzung beschließen, weil wir müssen uns erst mal damit vertraut machen. Das ist der erste Schritt.
Wenn wir dann damit vertraut sind, dann machen wir weiter mit den Übungen für das relative Bodhicitta, Tonglen usw. Wir haben die Basis gelegt, und wenn wir dann mit dem relativen Bodhicitta anfangen, dann treten die vorbereitenden Übungen und die Phase des Entwickelns einer Schau der illusorischen Natur der Dinge in den Hintergrund.
weitere Informationen (Seite von Christian Weitbrecht)