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Eintreten in den Strom

Vom Stromeintritt, der ersten Stufe der Erleuchtung (Sotàpanna)

„In der Buddhalehre und auch in vielen anderen mystischen Traditionen war das Ziel des spirituellen Weges die Erleuchtung oder das Erwachen (bodhi). Erleuchtung im tieferen Sinn bedeutet das Offenbarwerden des Nirvana, der Absoluten Wirklichkeit. Andere Ausdrücke für das Erwachen oder die Erleuchtung sind: das Schauen des Dharma oder des Ungeschaffenen. Erleuchtungserlebnisse bezeichnet man auch als überweltliche (lok&uttara), als mystische Erfahrungen. Im Zen bezeichnet man Erleuchtungserlebnisse als Satori oder als Kensho.

Die Vier Phasen edler Einsicht, die Buddha beschrieben hat, unterscheiden sich vor allem dadurch, dass im Schauen des Ungeschaffenen unterschiedliche Formen des Anhaftens an die ‚Welt der 10000 Dinge‘ aufgelöst werden. Je nach dem Karma und den Voraussetzungen des Menschen hat ein Erleuchtungserlebnis unterschiedliche Folgen.“ […]

„Da Buddha gesagt hat, ein Sotàpanna sei frei von den folgenden drei ‹‹Fesseln››, von Zweifel, Ich-Wahn und dem Hängen an Verhaltensregeln oder Methoden, glaubt man in einigen buddhistischen Kreisen, der Stromeintritt würde verwirklicht, wenn man frei ist von diesen so genannten Fesseln. Auch im Zustand einer starken Geistessammlung oder einer ungewöhnlichen Geistesklarheit ist man frei von diesen Fesseln. Das bedeutet aber noch lange nicht, den Stromeintritt erreicht zu haben. Das Entscheidende beim Stromeintritt scheint mir gar nicht – wie oft angenommen wird – die Überwindung irgendwelcher Fesseln zu sein. Auch durch Selbsterkenntnis und durch einen Wandel der inneren Einstellung, durch Meditation und durch Hingabe an den Dharma können unheilsame Neigungen abgebaut und überwunden werden. Viel wichtiger scheint mir die Vertiefung der Erkenntnisfähigkeit zu sein, die erreicht wird, wenn der Mensch im Schauen des Ungeschaffenen eine überwältigende Fülle von überweltlichen Einsichten gewinnt. Diese neu gewonnene Erkenntnisfähigkeit führt dazu, dass es im Leben des Menschen zu großen Veränderungen kommt und dass ein solcher Mensch (wie Buddha dargelegt hat) ein unabhängiges Verständnis (apara-paccaya) seiner spirituellen Lehre hat.


Es heißt in der Stelle über den Stromeintritt (M 56), im Schauen des Ungeschaffenen würde der Zweifel (vicikicchà) überwunden. Wer das Ungeschaffene geschaut hat, hat keinen Zweifel mehr darüber, was das Ziel des menschlichen Lebens und des spirituellen Weges ist. Weil im Erleuchtungserlebnis Erkenntnisse gewonnen werden, von denen unerleuchtete Menschen S selbst wenn sie hochintelligent sind und ein umfassendes Wissen haben S keine direkte Erfahrung haben, werden Mystiker oft missverstanden, wenn sie über ihre in einem Erleuchtungserlebnis gewonnenen überweltlichen (lok&uttara) Erkenntnisse sprechen. Da viele Hüter ihrer Tradition nur Ansichten und Meinungen über ihre Lehre haben, halten sie die Aussagen der Mystiker für irrige oder ketzerische Anschauungen.


Zu den Fesseln, die im Stromeintritt überwunden werden, gehört die Persönlichkeitsvorstellung (sakkàya-diññhi). Wird das Ungeschaffene geschaut, erscheint es unsinnig, etwas als ‹‹Ich›› oder ‹‹Mein›› anzusehen. Aber im Stromeintritt wird die Neigung, sich mit Körper oder Geist zu identifizieren, noch nicht ganz aufgegeben. Die dritte Fessel wird oft oberflächlich übersetzt mit: ‹‹Hängen an Regeln und Riten›› oder ‹‹Hang zu frommen Bräuchen››. Auch in spirituellen Kreisen gibt es viele, die Konventionen, Traditionen oder Verhaltensweisen, Methoden oder Techniken verhaftet sind (sãlabbata-paràmàsa). Sich an Verhaltensformen oder Verhaltensregeln zu halten oder Meditationsmethoden anzuwenden, gibt uns oft ein Gefühl von Sicherheit und die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Diese Art des Festhaltens an Traditionen und Konventionen führt nicht selten zu Stolz und Selbstgerechtigkeit, zu Dogmatismus oder Intoleranz und zu der Überzeugung, allein Zugang zur Wahrheit zu haben. Menschen, die an Traditionen und Konventionen hängen, möchten alles so lassen, wie es ist und sehen selten die Notwendigkeit, Reformen durchzuführen oder traditionelle Vorstellungen oder Autoritäten in Frage zu stellen.


Für einen Sotapanna ist noch viel zu tun auf dem Weg der spirituellen Läuterung, aber er wird sich nicht an unangemessene Verhaltensweisen oder an irgendwelche Methoden oder Techniken klammern. Wenn gesagt wird, der Sotapanna sei frei vom Festhalten an Verhaltensformen oder Methoden oder Techniken, dann könnte man das auch so verstehen, dass er dem Buddha der inneren Freiheit begegnet ist und von ihm gelernt hat, sich an diesen Grundsatz zu halten: Liebe den Dharma und tu das, was bei einer Herausforderung angemessen ist!“ (Akinkano in Kulbarz, Vimalo (2013):389)

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