Sautrāntika

„Die Sautrāntika waren „Anhänger der Sūtras“, weil sie die Gültigkeit des Abhidharma als Wort des Buddha (Buddhavacana) abgelehnt haben sollen und eine Lehre der Vergänglichkeit (Kṣaṇikavāda) vertraten, in der (wiederum im Unterschied zum Sarvāstivāda) nur gegenwärtige Aktivität existiert.

Es sind keine Texte dieser Schule erhalten, aber ihre Positionen werden im Abhidharmakośabhāṣya dargestellt, das die Sarvāstivāda-Vaibhāṣika-Positionen im Detail und als mangelhaft im Vergleich zu einer vermeintlichen Sautrāntika-Position darstellt. Nach tibetischer Darstellung schrieb Vasubandhu, der Autor des Abhidharmakośabhāṣya, aus der Perspektive der Sautrāntika-Position, obwohl er selbst ein Yogācāra-Anhänger war.

In ähnlicher Weise sind einige Kapitel des Yogācāra Dharmakīrti’s Erklärung von Dignāga’s logischem System aus der Sautrāntika Perspektive geschrieben. Nach Śāntarakṣita und seinem Schüler Kamalaśīla besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der Vaibhāṣika- und der Sautrāntika-Schule in der jeweiligen Ablehnung bzw. Annahme von Svasaṃvedana („selbsterkennendes Gewahrsein“). Obwohl beide Schulen akzeptieren, dass sich Atome (Paramāṇu) zu Formen von äußeren Objekten zusammensetzen, die vom Bewusstsein wahrgenommen werden, sagen die Vaibhāṣika, dass der Geist diese Objekte direkt kennt, während die Sautrāntika Position ist, dass er sie durch Bilder (ākāra) kennt. In den späten indischen und tibetischen Klassifizierungen werden Sautrāntika und Vaibhāṣika als die beiden Śrāvaka-Schulen (T. nyan thos sde pa) bezeichnet, um sie von den beiden Mahāyāna-Schulen des Yogācāra und madhyamaka zu unterscheiden.“ Buswell/Lopez 2014

Die Sautrāntika-Lehren

Andy Karr geht der Frage nach: Was kommt wirklich in den Geist, in das Erleben? Er hebt im Sinne der Sautrāntika-Position zunächst hervor, dass das, was eine Realität habe, auch eine Funktion erfüllen können müsse: „Sautrāntika bedeutet »Anhänger der Sutras«. […] Ihrer Auffassung nach kann alles, was wirklich existiert, immer eine Funktion erfüllen. Darunter fallen zum Beispiel die Objekte, die von den fünf Sinnen direkt wahrgenommen werden (Bilder, Klänge, Gerüche, Geschmäcker und Körperempfindungen), ebenso wie das jeweilige Sinnesbewusstsein, das sie wahrnimmt. Was nicht in der Lage ist, eine Funktion zu erfüllen, existiert nicht wirklich, es ist nur eine trügerische Erscheinung. Zum Beispiel besitzt der Löffel, den Sie direkt auf Ihrem Küchentisch sehen, wahre Realität, aber er ist nicht mit einem Namen oder einer Bezeichnung verbunden – er ist lediglich ein Objekt Ihres Augenbewusstseins. Dagegen kann man mit dem Objekt, das Ihrem konzeptuellen Bewusstsein erscheint, wenn Sie »Löffel« denken, keine Suppe schöpfen – es kann keine Funktion erfüllen, daher besitzt es keine wahre Existenz.“ (Karr 2014:56) Genauer betrachtet, gilt es die Wahrnehmung und das begriffliche Erfassen zu trennen: „Die Sautrāntika-Methode erforscht die Feinheiten dieser Momente noch weiter und weist auf zwei sehr unterschiedliche Arten der Erfahrung hin: Momente der Wahrnehmung und Momente des begrifflichen Erfassens. Wenn man äußere und innere Phänomene direkt erfährt – zum Beispiel, wenn das Auge Formen oder das Ohr Geräusche wahrnimmt -, nennt man das Wahrnehmung. Begriffliches Erfassen ist dagegen das indirekte Erfahren von Phänomenen, wenn man zu Worten und Konzepten greift – zum Beispiel denkt man, »dies ist ein Buch.« Der Unterschied scheint offensichtlich zu sein, doch normalerweise ist es so, dass wir Wahrnehmung und begriffliches Erfassen vermischen und uns gar nicht genau im Klaren darüber sind, was wir eigentlich wirklich erfahren. Wenn wir die Prozesse des Wahrnehmens und des begrifflichen Erfassens genau betrachten, erkennen wir, dass die Dinge ganz und gar nicht so sind, wie sie scheinen. Uns wird klar, dass wir nur sehr undeutlich erfahren, was unserem Geist wirklich erscheint. Wir glauben, dass wir die Dinge erleben, wie sie sind, im Allgemeinen ist es aber so, dass es nur unsere eigenen Projektionen sind, die wir erleben.“ (Karr 2014:96f)

In der Darstellung von Maitrīpas Stufenplan zur Vorbereitung der tantrischen Praxis beschreibt Klaus Dieter Mathes die Sautrāntika -Haltung so: „Die Zusammenfassung der Sautrāntika-Position läutet die Vorstellung der Mahāyāna-Systeme ein. Ist die Stufe eines Sautrāntika einmal erlangt, ist das Verhalten fortan durch die sechs Vollkommenheiten gekennzeichnet. Das bedeutet, dass man sich in den Vollkommenheiten der Großzügigkeit, Disziplin, Geduld, Anstrengung und Meditation in einem Zustand vollkommener Einsicht (prajñāpāramitā) übt. An diesem Punkt kultiviert man nicht nur Mitgefühl, sondern möchte auch fühlende Wesen, die das Potential dazu haben, zur Buddhaschaft mitnehmen. Genau wie im Yogācāra glauben die Sautrāntikas, dass verschiedene Gruppen von fühlenden Wesen unterschiedliche Potenziale oder sogar überhaupt kein Potenzial für spirituelle Entwicklung haben. Obwohl dieses Konzept die Sautrāntika- und Yogācāra-Fahrzeuge minderwertig macht, gehören sie zum Mahāyāna, insofern als die Gruppe mit einem Bodhisattva-Potential allein schon aus einer unüberschaubaren Anzahl von fühlenden Wesen besteht. Diese einzige Gruppe in sein Streben einzubeziehen, qualifiziert sich als Mahāyāna-Bodhicitta.

Die zugrundeliegende Analyse beinhaltet nun zum ersten Mal eine umfassende Zerlegung der gesamten äußeren Welt in Ansammlungen von momentanen subtilen Atomen, deren kontinuierliche Ströme den falschen Eindruck erwecken, es gäbe so etwas wie dauerhafte Objekte. Da sie zu weit entfernt sind, um der Wahrnehmung direkt zugänglich zu sein, geht man auf der Sautrāntika-Ebene davon aus, dass sie nur in der Lage sind, eine Erkenntnis zu erzeugen, die aus einer geistigen Form des Objekts besteht. Zur Unterstützung dieser Position fragt Dharmakīrti in seinem Kommentar zur gültigen Erkenntnis (Pramāṇavārttika), wie ein momentanes Ding wahrgenommen werden kann, wenn die Erkenntnis davon zu einem anderen Zeitpunkt stattfindet. Mit anderen Worten, in dem Moment, in dem die geistige Form eines Objekts erzeugt wird, kann das Objekt anders oder gar nicht präsent sein. Auch wenn es sich um völlig unterschiedliche Zeiträume handelt, kann man die Situation mit der Wahrnehmung der Sterne am Nachthimmel vergleichen, deren Licht Tausende oder sogar Millionen von Jahren zurückgelegt hat, bevor es unsere Augen erreicht. Auch wenn wir naiv davon ausgehen, dass die Sterne am Nachthimmel so präsent sind, wie wir sie sehen, sind einige von ihnen vielleicht schon vor langer Zeit zu einer Supernova explodiert oder in ein schwarzes Loch gefallen.

Aufgrund einer solchen Analyse wird die Aufmerksamkeit von der geistigen Form der Erfahrungsobjekte abgezogen. Aber wenn sich der Geist auf sich selbst besinnt, findet er auch nichts. Maitrīpa spricht von Meditation durch einen Geist, der den Nicht-Geist verwirklicht. Dies bereitet den Boden für die Yogācāra-Analyse und Meditation, in der alle äußeren Erscheinungen als die vibrierende Strahlkraft des eigenen Geistes erkannt werden. Die Verwirklichung, dass äußere Objekte unmöglich sind, löst einen Prozess der Dekonstruktion aus, der auch zur Aufgabe eines wahrnehmenden Subjekts und schließlich aller verdinglichenden Vorstellungen führt. Bis zur Sautrāntika-Ebene haben wir noch momentane, aber unabhängige materielle und mentale Faktoren der Existenz akzeptiert, die Körper und Geist konstituieren. Dies wirft die Frage auf, wie diese beiden ontologischen Kategorien zusammenwirken, um den Funktionskomplex unserer psychophysischen Existenz zu bilden, oder einfacher gesagt, wie ist es möglich, dass der Geist die Materie wahrnimmt. Entweder wird Geist und Materie die inhärente Existenz abgesprochen und nur als relational oder komplementär in einem dynamischen Prozess des abhängigen Entstehens akzeptiert (wie im Madhyamaka), oder man akzeptiert nur eine fundamentale Kategorie: den Geist. Die doxographische Entfaltung der Lehren verlangt von uns, die letztere Option zu untersuchen, das System des Yogācāra.“ (Mathes 2021, übers.)

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